Bergbau in Sulzbach-Rosenberg


Helmut Heinl Autorenseite
"Leben in der Bergmannssiedlung"
									
								 Der Säuganghartl
Der Säuganghartl In  den Sulzbacher Gruben war es so eingebürgert, dass Neulinge, die zum  ersten Mal in der Grube anfuhren, von einem alten, erfahrenen Bergmann  begleitet wurden. Ein Arbeitsbeginn wäre gar nicht anders möglich  gewesen. Denn im Irrgarten der um 1920 noch stockdunklen Strecken hätte  sich der Neuling bestimmt schon nach wenigen Metern verlaufen. Von der  nur teilweise elektrisch beleuchteten Hauptförderstrecke zweigten viele  Querschläge ab, in denen es stockfinster war. Elektrizität in der Grube  war damals noch nicht überall vorhanden (1) und die Karbidlampen (2)  der Bergleute waren zwar hell, aber reichten auch nicht weit. Wer  einmal als Unerfahrener in einer unbeleuchteten Nebenstrecke stand und  nichts hörte als das Tropfen des Wassers und vielleicht noch das Knacken  des hölzernen Ausbaus, bekam sehr schnell ein recht beklemmendes  Gefühl. 
In den Dreißigerjahren des letzten  Jahrhunderts trat auch der junge Leonhard seine erste Bergfahrt „auf  Klenze“ an. Der alte Dehling, genannt "Döllingdatscher“, (3)  (hatte einen watschelnden Gang), ein erfahrener Bergmann, sollte ihn  bis vor Ort begleiten. Als sie zu Fuß die Hauptförderstrecke entlang  gingen, musste sich der junge Mann immer wundern, weil so viele „Gänge“,  wie er sich ausdrückte, abzweigten. Die einen waren stockfinster, in  anderen sah man hinten trübe Lichter.
Für einen alten Bergmann ist das Wort „Gänge“ natürlich tabu. Für ihn heißt es Strecke (4) oder Querschlag (5)  und so möchte er es auch hören. Als der Hartl zum wiederholten Mal  fragte, wohin denn dieser Gang führe, antwortete ihm der alte Dehling  genervt: „Des is da Seigang". Worauf der Junge ganz naiv fragte, ob sie  wohl Schweine in der Grube hätten. „Ja fraale“, antwortete darauf der  „Döllingdatscher“, hier würde sogar geschlachtet. Dazu käme der  „Sauschneinder“ (Brandmetzger) von Großenfalz. Klima und Temperatur  seien ideal für die Schweinezucht.(6)  Das  Futter werde täglich von oben herunter gebracht. Außerdem bekämen die  Schweine die Reste von den Brotzeiten der Bergleute und das sei eine  ganze Menge. Der Mist komme in den Garten des Obersteigers.(7)  Als der nächste „Gang“ abzweigte, der völlig finster war, setzte der  alte Fuchs noch eins drauf. Er erzählte lang und breit, dass dies der  alte Säugang sei. Der sei aufgegeben worden, weil es im neuen viel  trockener und wärmer sei. Der Hartl kam aus dem Staunen nicht heraus,  das hatte er noch nie gehört – Schweineställe im Bergwerk!
Da  der „Datscher“ sein Erlebnis gleich den Kameraden erzählte, kann sich  wohl jeder denken, wie der junge Leonhard seinen Spitznamen bekam. Der  blieb ihm bis zum Ausscheiden aus der Grube. Und auch heute noch huscht  ein Lächeln über das Gesicht der alten Bergleute, wenn der Name  Säuganghartl zur Sprache kommt. Denn die Alten wissen nicht nur all die  Namen. Sie wissen auch noch, wie sie zustande gekommen sind. 
© Helmut Heinl 1984
									
								1  1913 wird die Dampfkraft in den Gruben durch
												elektrischen Strom abgelöst; im Werk Rosenberg wird dazu ein Kraftwerk in
												Betrieb genommen  (75 Jahre Maxhütte
												a.a.O.)
2 Von den alten Bergleuten wurden damals
												ohnehin noch Öllampen verwendet.
3 Näheres zu den
												Spitznamen der Sulzbacher  Bergleute: “
												Der Eisengau“ Band 56, 2021; S
4 Strecke: ein horizontal oder nur mit
												geringer Neigung aufgefahrener Grubenhohlraum, der zum Abbau oder zur
												Verbindung verschiedener Bergwerksbereiche dient, aber nicht an die
												Tagesoberfläche führt. Die wichtigste ist die Hauptförderstrecke.
5 Querschlag: Verbindungsstrecke zwischen 2
												Bergwerksabschnitten, ein Ausrichtungsbau zur Erschließung einer Lagerstätte. 
6
												Dazu muss man sich daran erinnern, in welch engen und finsteren Ställen die
												Hausschweine zu dieser Zeit gehalten wurden.
7 Der Obersteiger wohnte im stattlichen
												Verwaltungsgebäude, oberhalb des Schachtes, und hatte einen eigenen Garten, der
												von Bergleuten angelegt und instandgehalten wurde.
